Tausende Stunden Arbeit und ca. 120.000 Euro stehen aufgebockt in der Werkstatt. Daneben die beiden Studenten Lennart Zahn und Lorenz Ballenweg. Am Tag zuvor waren sie noch in Assen zu der Formula Student Netherlands, doch an dem Rennen haben sie nicht teilgenommen. Der Elektrobolide, in den sie so viel Arbeit gesteckt haben, hatte seine erste offizielle technische Abnahme. Das Regelwerk ist für alle Teams in Europa dasselbe, ob aber die Anforderungen korrekt interpretiert und umgesetzt wurden, erfährt das Team erst hier. Bei der Gelegenheit wurden auch Tests auf der Rennstrecke durchgeführt, um die Performance zu verbessern. Viel Zeit um die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen bleibt ihnen nicht, denn in zwei Wochen werden sie auf dem legendären Circuit de Barcelona-Catalunya ihr erstes Rennen der Saison bei der Formula Student Spain bestreiten.
Das Team Delta Racing der Hochschule Mannheim wurde 2012 gegründet. Die etwa 60 Studentinnen und Studenten kommen aus allen Fakultäten. Lennart und Lorenz kamen beide vor drei Jahren ins Team.
In seinem dritten Semester hat Lorenz sich dem Team angeschlossen. Der leidenschaftliche Tüftler konnte schon auf nützliche Erfahrungen zurückgreifen: als Jugendlicher hat er sein Bobbycar mit einem Motor ausgestattet. Der Elektrotechnikstudent ist technischer Projektleiter des Teams und einer der vier Fahrer. Lennart hatte seine erste Begegnung mit dem Rennteam an seinem ersten Tag an der Hochschule. Auf der Semestereröffnung hatte das Team einen Rennsimulator aufgebaut - und damit ein neues Mitglied gewonnen. Er macht gerade seinen Bachelorabschluss, doch seine Zukunft sieht er nicht im Rennsport: „Mit Verfahrenstechnik wird man zum Beispiel in der Chemieindustrie arbeiten.“ Warum er dennoch mit Leidenschaft für das Rennteam arbeitet, ist schnell erklärt. „Man erlebt Abenteuer und man nimmt viel als Person mit.“ Lachend fügt er hinzu, „auch von den nervigen Softskills.“
Softskills sind aber genau das, was man in einem solchen Team in Fülle braucht, um das Ziel der Unternehmung zu erreichen: „365 Tage, 1 Auto.“ Ab Mitte August beginnt bereits die Planung für den Rennwagen im kommenden Jahr. Die Aufgaben, die sie zu bewältigen haben, sind gewaltig. Mit einem Kernteam von ungefähr 20 Studentinnen und Studenten müssen sie als Team funktionieren, ihr Praxiswissen einbringen und neues dazulernen. Neue Teammitglieder müssen eingelernt werden. Das Management des Wissenstransfers spielt eine bedeutende Rolle. Dazu muss der Umgang mit beachtlichen Summen Geld und wichtigen Sponsoren gelernt werden. Die Lernkurve ist sehr groß.
Und wofür? „Es gibt kein Geld, aber das Wissen ist unbezahlbar,“ sind beide sich einig. Inzwischen füllt sich die Werkstatt mit weiteren Teammitgliedern und jemand fügt grinsend hinzu: „Kein Geld, aber es zahlt sich später aus!“ Sofort werden Erfahrungen ausgepackt. Man weiß, dass die Automobilbranche gezielt Personal aus den Formula Student Teams rekrutiert. Und die Industrie sucht begierig Mitarbeiter, die ihre Softskills nicht nur in der Theorie, sondern in der Praxis beherrschen. Und viele, die einst im Racingteam angefangen haben, sind tatsächlich im Rennsport gelandet.
Stichwort Wissensmanagement: Zum ersten Mal konnten sie ihren Renner mit einer selbsttragenden Karosserie ausstatten. Das sogenannte Monocoque wurde innerhalb von drei Monaten aus Carbon hergestellt. Pi mal Daumen schätzen sie ihren Arbeitseinsatz auf 120 Stunden pro Woche zum Ende der Bauphase. Dabei konnten sie auf das Wissen eines Alumnus, der im Rennsport arbeitet, zurückgreifen. Das ehemalige Teammitglied hatte seine Bachelorarbeit über Carbon Chassis geschrieben und konnte ihnen beratend unter die Arme greifen. Die 15.000 Euro für das Carbon mussten sie allerdings selbst über Sponsoren und Hochschulmittel auftreiben. Nach unzähligen Stunden Carbon Klebens, musste ein Crashtest mit 30 km/h durchgeführt werden. Test bestanden.
An dem Rennen in Assen konnten sie jedoch nicht mehr teilnehmen. Zuerst musste das Auto vom Rennverband abgenommen werden und zum anderen ist an der Hochschule gerade die Prüfungsphase. Deshalb waren sie auch nur zu siebt in den Niederlanden - Studium geht vor. Die Saison beginnt in zwei Wochen in Spanien. Man diskutiert die Fahrzeit und die Route. Erfahrungen mit dem Elektrobus der Hochschule werden ausgetauscht. Der Rennwagen fährt in einem der zwei Sprinter. Diesmal reist das Team mit 16 Mitgliedern an. Der Geruch von Abenteuer. Die größten Legenden des Motorsports sind auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya gefahren. Die Erwartungen, die man sich selbst gestellt hat, sind dagegen moderat: Mittelfeld.
Nicht das Podium ist das Ziel, erklärt man, sondern die Abnahme. Die anderen Teams, auf die sie an den Rennstrecken treffen, werden nicht als Konkurrenten betrachtet, sondern Freunde. Man hilft sich gegenseitig und Lorenz zieht die Bilanz: „99 % ist bauen, 1 % fahren. Man muss da Spaß dran haben.“ Und der Spaß ist ansteckend. Vom 12. bis 18. August gastiert die Formula Student in Hockenheim, quasi vor der Haustüre, und man erzählt, dass die ehemalige Rektorin, Frau Hedtke-Becker, schon zum Rennen da war. Für nur 11 € kann man Rennluft schnuppern. Mehr als verbranntes Gummi wird man aber nicht riechen, die Autos fahren elektrisch. Was hat man in der Post-Benzin-Ära im Blut? „Koffein!“ „Kaffee!“ „Ja, sehr viel Kaffee!“